Als Hebamme in einem Praktikum im Sortengarten
Ja, richtig gelesen. Wie viele andere meiner Arbeitskolleginnen, brauchte auch ich nun definitiv einmal eine Pause von der Hebammenarbeit. Nicht, weil ich keine Faszination mehr an Schwangerschaft, Geburt und der Neugeborenenzeit gehabt hätte. Vielmehr, weil ich schlichtweg keine Geduld und Energie mehr dazu aufbrachte, den Eltern zuzuhören, empathisch zu bleiben, sie zu beraten und beruhigen und parallel dazu mit dem enormen Stress und Zeitdruck auf Kosten der Betreuungszeit Gebärender und frischer Eltern klarzukommen. Also kündigte ich und suchte nach etwas ganz anderem. Etwas in der Natur, mit körperlicher Arbeit, in Kontakt mit der Erde und mit möglichst wenig sozialem Kontakt… Wie durch ein Wunder erhielt ich das Angebot, im Sortengarten Erschmatt mitarbeiten zu dürfen. Ich zögerte keinen Moment.
Nach einer wunderschönen Fahrt, in Richtung der aufgehenden Sonne, stieg ich gemeinsam mit Damien (Co-Geschäftsleiter) in Erschmatt Dorf aus. Damien bemühte sich, mir möglichst ausführlich die Arbeit im Sortengarten näher zu bringen und den Verein Erlebniswelt Roggen in seinen verschiedenen Facetten zu erklären. Die Besichtigung der verschiedenen Standorte seiner Arbeit, ging mit einer eindrücklichen Dorfführung mit viel geschichtlichem Hintergrund einher. Nach dem Mittag ging’s dann direkt an die Arbeit und es wurde grosszügig Unkraut ausgerissen, zwischen den verschiedenen Winterweizenfeldern des Zwetschgengartens.
In kürzester Zeit lernte ich, was es hiess, an vier verschiedenen Standorten von Hand den Boden zum Ansähen vorzubereiten, auf Distel-Hunting zu gehen, Bäume in der Zälg zu sägen, um einen Holzzaun zu bauen, Roggenkörnern maschinell zu sortieren, Roggenmehl zu mahlen und dieses für den Verkauf abzufüllen.
Nach der ersten Woche im Sortengarten, tat mir wortwörtlich alles weh. Vor allem meine Hände und Finger schmerzten vor lauter Unkraut jäten. Doch gleichzeitig fühlte es sich auch richtig gut an, einerseits zu spüren, was man geleistet hat, andererseits anhand der sichtlichen Veränderung des Gartens seine Arbeit auch zu sehen.
Bald waren alle Beete vorbereitet und wir begannen mit der Aussaat von Mais, Hirse, Buchweizen und Gründüngung. Die Arbeit wurde etwas entspannter und Laura (Co-Geschäftsleiterin) zeigte mir immer wieder neu entdeckte Ackerbegleitpflanzen, die im Sortengarten auffindbar waren. Nebst dem Klatschmohn und der Kornblume lernte ich unter anderem das Sommer-Adonisröschen kennen, den Acker-Steinsamen, die Acker-Hundskamille, das rundblätterige Hasenohr und viele mehr.
Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals einen Fadenmäher in der Hand halten würde und damit stundenlang in meine Arbeit versinken könnte. Niemals hätte ich mir zugetraut einen Balkenmäher zu bedienen!
Während die Getreide im Garten heranreifen, werde ich mir bewusst, wie sehr mir auch Laura und Damien immer mehr ans Herzen gewachsen sind. Von Anfang an haben sie mich offen und liebevoll im Team aufgenommen und waren geduldig und verständnisvoll mit mir.
Während wir gemeinsam den ersten Roggen und die erste Gerste mit der Sichel ernten, naht langsam das Ende meines Praktikums.
Alles ist ein Kreislauf – alles hat ein Anfang und ein Ende. Während ich als Hebamme, den Anfang eines neuen Lebens im Bauch bis hin zu der Geburt begleite und mich um es kümmere, begleiten Damien und Laura verschiedenste Pflanzen von ihrer Aussaat, über die Blüte, bis zur Ernte und gewinnen ihr nächstes Saatgut, nachdem die Pflanzen verwelkt sind. Wo Leben ist, ist Verantwortung.
Die Frage, die ich mir nun aber stelle ist, welchem Leben willst du in Zukunft deine Zeit und Energie widmen?
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