Roggen in Erschmatt: es tut sich was…
Erschmatt war in Sachen Roggen die letzten Monate mehrmals Thema der Oberwalliser Medien. Anlass war der Konkurs der Stiftung Roggen Schweiz. Eine verworrene Angelegenheit mit langer Vor-Geschichte. Nachfolgend eine Chronologie der Geschehnisse, um das Ganze etwas zu entwirren ....
Von der Notwendigkeit fürs tägliche Brot zur lebendigen Tradition des Roggenbrot Backens
Seit Jahrhunderten wird in Erschmatt Roggen zur Selbstversorgung angebaut. Jede Familie buk im Gemeinschaftsbackofen für sich das tägliche Brot. Mit dem Bau Strasse und neuen Verdienstmöglichkeiten ausserhalb des Dorfes verminderte sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts die Notwendigkeit, Roggen zu pflanzen. Der Roggenanbau kam Ende 1990er Jahre fast ganz zum Erliegen. Lebendig geblieben ist aber die Tradition des Roggenbrotbackens, wie in vielen anderen Walliser Dörfern auch. In Erschmatt treffen sich jeweils in der letzten Jahreswoche Familien und Gruppen, um im 400jährigen Steinbackofen Roggenbrot nach traditioneller Art zu backen.
Der Verein Erlebniswelt Roggen Erschmatt, gegründet 2003, hat diese Tradition noch zusätzlich belebt und bekannt gemacht. Interessierte Gruppen, Vereine, Firmen konnten unter Anleitung von kundigen Vereinsmitgliedern selbst in der alten Backstube Hand anlegen, sogenannte Backerlebnisse. Mit dem Ziel, das Natur- und Kulturerbe rund um den Roggen zu fördern, rekultivierte der Verein aufgelassene Äcker in der Zälg und pflanzt heute auf einer Hektare mit insgesamt 11 Terrassen wieder das Walliser Korn an.
Damit das Wissen um alte Getreidesorten nicht verloren geht, begann der Biologe Roni Vonmoos 1985 mit dem Aufbau des Sortengartens Erschmatt. Er bietet alten Walliser Kulturpflanzen eine Heimat, indem diese in regelmässigen Abständen gepflanzt und wissenschaftlich dokumentiert werden. Die Sortensammlung ist heute vom Kanton Wallis als kantonales Kulturerbe anerkannt und über die Kantonsgrenzen hinaus als Fachstelle für alte Sorten geschätzt. Der Sortengarten Erschmatt wurde im Jahr 2021 formell in den Verein Erlebniswelt Roggen Erschmatt integriert und beschäftigt heute drei Personen in Teilzeitanstellung.
Der Verein Erlebniswelt Roggen Erschmatt bietet regelmässig Backerlebnisse an. Durch das Jahr hindurch sind es insgesamt rund 25 Anlässe, die auf Anfrage für Gruppen und Schulklassen durchgeführt werden. Die Teilnehmenden dürfen am Schluss das selbstgebackene duftende Roggenbrot mit nach Hause nehmen. Verkauft wird nicht das Roggenbrot, sondern das gemeinsame Erlebnis.
Neue Ära: Produktion von Roggenbrot für den Markt
2016 trat ein neuer Beteiligter in Erschmatt auf: die Stiftung Roggen Schweiz. Sie setzte sich als Ziel, ein „Zentrum zur Erhöhung des Stellenwerts des Roggens als wertvolles gesundes Nahrungsmittel in der Schweiz“ zu betreiben. Zu diesem Zweck erwarb sie von der Gemeinde Leuk das Erdgeschoss des ehemaligen Schulgebäudes und richtete dort eine Backstube zur Produktion von Roggenbrot für den Markt ein.
Ein weiterer Akteur im Ganzen ist die Gemeinde Leuk. Nach der Fusion von Erschmatt und Leuk im Jahr 2012 engagierte sich die Gemeinde sehr für Belange des Dorfes Erschmatt. Weil es dort seit langem kein Restaurant mehr gab, entschied sie, in den leerstehenden Räumlichkeiten des Schulhauses ein Restaurant einzurichten. Allein für den Umbau des Foyers, für die Schaffung einer Info-Stelle und für die Neueröffnung eines Restaurants investierte die Gemeinde mehr als 3.5 Millionen Franken. Die Stiftung ihrerseits wurde für die Einrichtung eine Backstube durch die Patenschaft für Berggebiete unterstützt. Der gesamte Komplex des Mehrzweckgebäudes wurde umfassend umgestaltet, so dass am 22. April 2017 das Restaurant Roggenstube, die Roggen Backstube, das Foyer im Eingangsbereich und eine Infostelle feierlich eröffnet werden konnte. Der gesamte Gebäudekomplex wurde als „Roggenzentrum“ bezeichnet. Den gleichen Namen „Roggenzentrum“ wählte die Stiftung Roggen Schweiz für sich als Institution.
Zum Walliser Bote Artikel: Im Zeichen des Sauerteigs
Hotel Roggen ab dem Jahr 2021
Die Idee, eine Unterkunftsmöglichkeit für Gäste und Touristen im Dorf anzubieten, bestand seit der Gründung der Stiftung Roggen Schweiz. Der zweite Stock des Gebäudekomplexes war dafür vorgesehen. Aus Eigenmitteln allein hätte die Stiftung diese Investition nicht stemmen können. Für die Suche nach Geldgebern wäre es für die Stiftung nicht dienlich gewesen, lediglich als Mieter des Stockwerkes aufzutreten. Deshalb verkaufte die Gemeinde Leuk der Stiftung auch das zweite Stockwerk. Das Restaurant im ersten Stockwerk blieb weiterhin im Besitz der Gemeinde. Nach dem Umbau der ehemaligen Schulzimmer konnte die Stiftung Roggen Schweiz ab 2021 in 12 Doppelzimmern 24 Gästebetten anbieten.
In Flyern und auf der eigenen Homepage präsentierte sich die Stiftung Roggen Schweiz als „das erste Roggen Zentrum der Schweiz“, „wo Tradition zur Moderne wird“. Zum Betrieb gehörten ab nun das Restaurant Roggen Stube, das Hotel Roggen und die Roggen Backstube. Der Stiftungsrat stellte das erforderliche Personal im Angestelltenverhältnis an.
ROGGEN ZENTRUM: Hohe Erwartungen und zunehmend in Schieflage
Während in der Startphase noch grosse Zuversicht herrschte, kamen Unbehagen aufgrund des mässigen Erfolges vor allem im Restaurations- und Hotelbetrieb auf. Der Gesamtbetriebserfolg (Restaurant, Hotel und Backstube zusammen) entwickelte sich anders als erhofft und als im ursprünglichen Businessplan vorgezeichnet.
Seit der Eröffnung kam es zu häufigen Wechseln im Arbeitsteam. So wechselte die Verantwortung für die Führung des Restaurants im Zeitraum von 2017 bis 2024 gleich sechs Mal, es kam teils zu fristlosen Entlassungen. Häufige Fluktuationen bei der Leitung und beim Personal wirken sich auf die Dauer ungünstig für die Betriebsergebnisse eines Restaurants aus. Besuchten in den ersten Jahren viele Einheimische und Gäste das Restaurant, verminderte sich die Kundschaft des Restaurants – aus welchen Gründen auch immer.
Es wurde schon länger über finanzielle Schwierigkeiten des Roggenzentrums gemunkelt. Anfang des Jahres 2024 reichte die Stiftung Roggen Schweiz ein Gesuch um Nachlassstundung ein, diese wurde provisorisch gewährt. Mit Verfügung vom 22.04.2024 eröffnete die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Leuk über die Stiftung mit Wirkung ab dem 22.04.2024, 09.30 Uhr, den Konkurs. Das Restaurant Roggenstube und das Hotel Roggen machten dicht. Um die Lieferverträge für Backprodukte einhalten zu können, wurde gleichentags die Stiftung Roggen Erschmatt gegründet. Sie mietet vom Konkursamt die Roggen Backstube und führt die Produktion von Roggenprodukten wie bis anhin weiter.
Zum Walliser Bote Artikel: Erschmatter Vorzeigeprojekt Roggenzentrum geht in Konkurs
Wie weiter nach dem Konkurs der Stiftung Roggen Schweiz?
Wer die Räumlichkeiten im Besitz der Stiftung Roggen Schweiz – also die Backstube und der Hotelteil – übernehmen wird, klärt sich im Verlaufe des Liquidationsverfahrens. Hier bestimmt das Konkursamt den Zeitplan.
Die Gemeinde Leuk stellte im Walliser Bote vom 16. März 2024 und in der Urversammlung vom 16. Mai 2024 ihre Rolle bei dieser Angelegenheit dar, so Präsident Martin Lötscher: „Die Gemeinde Leuk ist lediglich Verpächterin des Restaurants; die Gemeinde hat auf den Geschäftsgang der Stiftung keinen Einfluss.“ Als Besitzerin der Restaurantlokalität sucht sie seit Anfang Juni 2024 eine Pächterschaft für das Restaurant Roggen Stube.
Der Verein Erlebniswelt Roggen Erschmatt, völlig unabhängig von der Stiftung Roggen Schweiz, war von den Turbulenzen rund um den Konkurs nicht direkt und unmittelbar tangiert. Bei spezifischen Angeboten (z.B. „Backerlebnis“, „Brot & Feuer“) übernahm das Restaurant Roggenstube gelegentlich den Verpflegungsteil. Diese Möglichkeit entfällt nun. Der Verein kann seine bisherigen Angebote und Tätigkeiten ohne Einschränkungen wie in den 21 Jahren seit seinem Bestehen weiterführen.
Roggen in Erschmatt: Ein kurzer Ausblick zum Schluss:
- Die nähere Zukunft des sogenannten Roggenzentrums ist ungewiss. Findet sich ein Pächter, eine Pächterin oder ein Pächterpaar für die Führung des Restaurants Roggenstube? Wer ersteigert aus der Konkursmasse die Roggen Backstube, wer das Hotel Roggen? Wie kann man sich die Abstimmung zwischen Restaurant, Hotel und Bäckereibetrieb vorstellen, wenn allenfalls zwei verschiedene Akteure am Werk sind?
- Roggen als Getreide hat im Wallis eine lange Vergangenheit, kann Trocken- und Kälteperioden überstehen, stellt geringe Ansprüche an Boden. Das Roggenbrot hat einen kräftigen, charaktervollen Geschmack. Die Bedeutung der Roggen-Pflanze könnte angesichts des Klimawandels zunehmen. Und der Sortengarten Erschmatt hütet einen Schatz für zukunftsversprechende Sorten.
- Roggen ist ein Kulturgut des Wallis. Kulturlandschaften mit (ehemaligen) Ackerterrassen, Stadel und Speicher, sind sichtbare Zeugen dieses Kulturerbes. Zahlreiche Geräte – etwa von der Sichel, über den Dreschflegel bis zur Getreidewanne - erinnern uns an diese Erbschaft. Und nicht zuletzt wird das Backen von Roggenbrot im Gemeinschaftsbacken noch in gut 45 Ortschaften von Oberwald bis Trient noch als lebendige Tradition gepflegt. Der Verein Erlebniswelt Roggen Erschmatt verfolgt zielstrebig seine Zielsetzung weiterhin, nämlich das Natur- und Kulturerbes rund um den Roggen zu erhalten, zu fördern und weiterzuentwickeln. Ein Roggenmuseum in Erschmatt? Warum nicht?
- Roggen in Erschmatt: Diese lange Geschichte wird nach den Ereignissen im Frühjahr 2014 auf jeden Fall eine Fortsetzung finden! [ES/01.07.2024]
Angaben zu Illustrationen:
- Zälg in Erschmatt: elf Ackerterrassen mit Roggen bepflanzt
- Das leerstehende Schulgebäude wird nach 2017 umgenutzt: Erdgeschoss zu Backstube, erster Stock zu Restaurant, zweiter Stock zu Hotel
- Walliser Bote, 24.04.2017 - Bericht Seite 5 über die Eröffnung des Roggen Zentrums
- www.roggen-zentrum.ch – Homepage Startseite bis zur Liquidation Ende April 2024
- Walliser Bote, 24.04.2024 – Bericht Seite 4 über Konkurs der Stiftung Roggen Schweiz
- TV-Kanal 9 – Beitrag Tagesinfo vom 25. April 2024
Werter Emil,
danke für deinen Kommentar. Ich habe ihn erst jetzt gesehen, obwohl er schon seit einem halben Monat online ist. Es scheint, dass meine Absichten missverstanden wurden. Ich wollte weder Probleme aufarbeiten noch eine Meinung äussern, sondern lediglich eine neutrale Chronologie der Ereignisse rund um den Roggen in Erschmatt geben. Ein Journalist wird diese Aussagen zeitnah neutral prüfen, um sicherzustellen, dass alle Informationen korrekt und sachlich dargestellt sind.
Mit Gruss,
Edmund Steiner, Burger von Leuk (ehemalig Erschmatt) und engagiert seit 21 Jahren als Präsident des Vereins Erlebniswelt Roggen Erschmatt
Lieber Edmund
ich denke nicht, dass dein Stern heller leuchtet, wennn du meinst, Probleme anderer aufarbeiten zu müssen. Du missbrauchst die Hompage der Erlebniswelt Roggen, um deine selbstgerechte Gefühlswelt auszuleben. Das ist ziemlich anmutend. Ein Verweis, dass Erlebniswelt Roggen durch den Konkurs der Stiftung Roggen Schweiz nicht betroffen ist, wäre die adäquate Info im Interesse des Vereins.
Versuch doch mal, selber unternehmerisch tätig zu sein, dann verstehst du, dass man trotz viel Herzbblut und Engagement und besten Absichten aufgrund widriger Umstände auch scheitern kann.
Emil Inderkummen, Burger von Erschmatt und engagiert in der Stiftung Roggen Erschmatt in Sinne des Roggens